
Atacama Crossing – der zweite Kontinent ist bezwungen
Mit dem 250km Wettkampf Atacama Crossing in Chile steht der 2/7 Multistage Wettkämpfen beim Projekt Run for Children an. Gut vorbereitet und Equipment optimiert fliege ich voller Zuversicht nach Südamerika. Von ehemaligen Teilnehmern hatte ich bereits viel spektakuläres über das Rennen gehört.
1. Etappe, Navigation by the rocks, 35km, 350HM+
Los geht’s. 8 Uhr morgens. Nach einer eiskalten Nacht im Zelt sind die Zehen noch gefroren. Aufbruchstimmung herrscht. Aber kaum jemand will die Kamera für ein Foto rausholen. Finger warmhalten. Und schon geht die Post ab. Allerdings nur kurz. Nach etwa 500m schreit Ash von hinten. Der Trail zweigt rechts ab. Wir sind aber alle geradeaus unterwegs. Das erste Mal verlaufen. Das fängt ja gut an. Irgendwie habe ich die Kurve aber doch gekriegt. Und zu meiner Überraschung bin ich in Führung liegend! Das Glücksgefühl soll etwa 5 min anhalten, bis ich von zwei Läufern überholt werde. Allein das und die Eindrücke der letzten Tage reichen schon, um zufrieden nach Hause zu fliegen. Aber es geht ja noch weiter!
Die Landschaft ist unglaublich. Wechselt alle paar Kilometer. Schmale Canyons wechseln sich mit weiten Hochebenen ab. Kein Baum, nur ein paar Distelbüsche. Loses Geröll auf den Lavafeldern. Sandpassagen. Und am Ende noch ein 5km Anstieg zwischen windstillen Felsen. Dabei die Vulkane der Andenkette stets im Blick. Spektakulär.
Während die Nächte gegen Null Grad oder darunter fallen, steigen die Temperaturen nach Sonnenaufgang um 8 Uhr schnell an. Und zur Mittagszeit gegen 12 Uhr fühlt es sich an, als würde jemand die Heizung drei Stufen höher drehen. Mit einer leichten Brise passt mir das ganz gut. In Albanien sind wir bereits in Hitze gelaufen. Und wird hier auch nicht anders werden.
War ein guter Einstieg heute. Als 4. In der Gesamtwertung über die Ziellinie. Das wird in den nächsten Tagen nicht so bleiben. Einige der Topleute haben sich verlaufen. Ich dann später auch nochmal. Die Koordination und das Entdecken der weitgesteckten Flaggen ist in der farbenfrohen Steinwüste nicht einfach. Aber Verlaufen gehört bei mir dazu, wie ihr wisst. Ein Kilometer mehr heute ist bei der Gesamtstrecke von 250 km ein Klacks.
Relaxen und vorbereiten für morgen steht jetzt an. Bis dahin!
2. Etappe, The Slot Canyons, 38km, 656 HM+, 427HM-
Nach 10h Schlaf(!) in etwas wärmerer Umgebung auf steinigem Untergrund starten wir in den zweiten Tag. Erneut sollen spektakuläre Teiletappen auf dem Programm stehen. Doch dazu später.
Gestern Nachmittag haben wir in unserer temporären 7er Männer WG bei den Newbies die Rucksäcke neu strukturiert. So kamen viel zu viele Energieriegel, getrocknete Aprikosen, Schokoladenkuchen und andere Leckereien zum Vorschein. Das Buffet wurde in der Mitte aufgebaut. Win-Win. Die Jungs haben leichtere Rucksäcke und wir einen vollen Magen. In der Höhe ist der Appetit zumindest während des Laufens eingeschränkt. Am Nachmittag beim Relaxen geht dann aber alles rein. Die gestrige Etappe startete auf 3200m. Heute sind wir immer noch auf 2600m unterwegs. Erinnert mich an die Läufe im Himalaya.
Und dann gings los. Vom Camp aus 6km bergab in de Canyon des Rio Grande. Und da wartete das erste Highlight. Für weitere 6km folgte der Trail dem Wasserlauf. Also im Wasser, rechts und links davon am Ufer. Das wäre ja alles lustig. Aber das Wasser kommt geradewegs von den Vulkanen der Anden. Schmelzwasser. Eiskalt. Die Füsse waren bereits nach einigen Metern zu Eisklumpen gefroren. Kein Gefühl mehr. Immer wieder rein ins Wasser, knietief. Der Canyon war zu der Zeit noch schattig und kalt. Trotz der Umstände irgendwie ein Genuss. Einmalig.
Ein paar Kilometer später in der Sonne spürt man die Zehen dann wieder. Das nächste Highlight sollte nicht lange auf sich warten. Über einen steilen Anstieg erreichen wir den Höhengrad oberhalb San Pedro de Atacama. Atemberaubender Ausblick. Die Vulkankette, Die Salzebene um San Pedro, die Sanddünen direkt unter uns. Und schon bald sollte es links steil abgehen. Wie in einen Skihang. Ab in die Sanddüne. 300m cruisen. Wie Tiefschneefahren. Hammer. Ging viel zu schnell vorbei.
Der Rest der Etappe führte dann durch losen Sand und über Dünen bis zum Camp. Auf dem Weg dahin hat sich ein Wüstenfuchs zu mir gesellt. Wir sind etwa 1km zusammen gelaufen. Er ist immer vor gesprintet zur nächsten Streckenmarkierung. Habe mit ihm gesprochen und mich natürlich ordnungsgemäss für seine Unterstützung bedankt.
Es gibt unzaehlige Fotos von dem Tag. Freut euch schon mal darauf.
Erneut sprang Tagesrang 4 heraus. Damit habe ich den 4. Gesamtrang ebenso behalten. Die Woche fängt stark an. Drückt mir die Daumen, dass ich das halten kann.
3. Etappe, The Atacamenos Trail, 39km, 395HM+, 280hm-
Weiter geht’s! Nach einem Equipmentcheck gestern für die Top 10 waren einige heute morgen nicht so motiviert. Es gab eine Reihe an Penaltys für nichtvorhandenes Material wie Kompass, Pfeife, zu wenig Essen oder zu wenig Toilettenpapier(!). Ich bin sauber durchgekommen. Nicht alle waren einverstanden mit ihren Zeitstrafen. Aber was soll’s? Die Regeln sind für alle gleich. Manchmal ist es nur eine Frage der Kommunikation.
Der Tag war der härteste bisher. 9km bis zum 1. Checkposten über unwegsames Gelände wie auf einem Kartoffelacker. Mit aufstehenden Wurzeln, Distelbüschen und trockener, loser Erde. Anspruchsvoll für Koordination und Gelenke. Bin den Teil mit Christophe, dem Drittplatzierten gelaufen. Er ist etwas angeschlagen mit einer Zerrung am Sprunggelenk und wir konnten uns gemeinsam durch das Feld pushen.
Danach ein kurzes Stück Sandpiste. Erholung pur. Denn es sollte noch die eine oder andere Herausforderung kommen. Zu dem Zeitpunkt habe ich mich gut gefühlt und war absolut im Soll, was Tempo und Motivation anging. Nach einem nicht enden wollenden Anstieg in Dünen und tiefem Sand erreichten wir ein Steinfeld mit ausgewaschenen Platten. Mondlandschaft. Kaum rennbar. Besonders die scharfen Kanten erfordernden viel Aufmerksamkeit. Und dazu wieder die Koordination und Orientierung an den pinken Flaggen. Ich bin fast durchgedreht.
Zusätzlich zur körperlichen Anstrengung kommt die Arbeit im Kopf. Und das in brütend heisser Sonne ohne Schatten. Nachdem ich irgendwann die nächste Flagge nicht mehr sehen konnte, habe ich den hinter mir liegenden Laeufer rankommen lassen. Im Kopf völlig leer bin ich ihm hinterher gedackelt.
Die Motivation sank von Meter zu Meter.
Irgendwie habe ich mich dann doch ins Ziel geschleppt. Mit 3 min Rückstand auf Tagesplatz 5. Gesamt steht immer noch der 4. Rang. Abwechslungsreicher aber extrem harter Tag.
Und die erste kleine Blessur habe ich mir auch geholt. Das ewige Treten gegen die Steine hat mir eine Blase unter dem Zehennagel beschert. Ist aber bereits mit einem kurzen Stich durch den Nagel erledigt. Fluessigkeit raus, Druck weg. Das muss die nächsten zwei Tage so halten. Jetzt stehen die echten Ultraetappen an.
4. Etappe, The Infamous Salt Flats, 48km, 417HM+, 573HM-
Ich bin müde. Aber nicht müde genug, um mich bei euch für die vielen Nachrichten/Kommentare zum Blog zu bedanken. Ihr glaubt gar nicht, wie aufmunternd das ist. Nach den Laufetappen sind Körper und Geist so richtig down. Dann bauen die Messages extrem auf. Pusht mich morgen noch über die Königsetappe (80km) und dann ist das Ziel in greifbarerer Nähe. Und spätestens jetzt fängt auch für mich das Taktieren an. Nach vorn zum 3. Platz gibt es kaum noch eine Chance. Nach hinten war mein Ziel heute weitere 20min Polster aufzubauen. Am Ende sprangen 13min raus. Das sind gesamt 45min Vorsprung. Meine Strategie für morgen steht. Die verrate ich hier natürlich nicht
Was lief heute? Nach einem fantastischen Sonnenuntergang gestern Abend und einem vorausgehenden Tornado, der durch’s Camp zog und die Zelte innen mit einer Puderzuckerschicht Sand überzog, starteten wir heute zur Abwechslung mal in Sand und auf den Steinplatten, die gestern bereits viel Freude bereitet haben ;-(. Konstant und stetig hoch. Ein paar coole Sanddünen zum Runtercruisen. Und schon waren 9km bis zum 1. Checkposten verflogen. Bis hierher habe ich mich an den Zweit- und Drittplatzierten angehängt, um den Weg nicht zu verpassen. Das Tempo war mir fuer die Länge der Etappe aber zu hoch und ich habe sie fliegen lassen.
Der Rest der Etappe war flach auf Sandpisten, über die kartoffelackerähnlichen Felder und durch die riesige Salzebene. Wir sind 10km geradeaus auf einem nicht mal zwei Fuss breitem Singletrail über die weisse ausgetrocknete Fläche getrampelt. Mehr oder weniger lauf bar. Teils so scharf aufstehende Erdkruste und Salzkristalle, dass ein Einbrechen leicht den Schuh und Fuss zerschneiden kann. Hat aber richtig Laune gemacht. Die Sonne war auf dem Teil besonders brutal. Ohne Schatten bereits jenseits der 40 Grad, verstärkt die Reflexion der weissen Wüste das bis ins fast unerträgliche. Dazu noch die letzten 6km auf einer staubigen Piste bis ins Camp. Aber irgendwie solide wieder auf dem 4. Tagesrang gelandet.
Als weiteres Highlight neben den Salzflächen sind wir an den Ojos de Atacama vorbei gerannt. Zwei kreisrunde Seen mitten in der Pampa. Schaut euch die Bilder davon auf Google an. Es gibt tolle Luftbildaufnahmen davon.
Heute mussten einige Teilnehmer aufgeben. Die technischen anspruchsvollen letzten Tage haben Opfer gefordert. Deshalb ist das 1. Ziel: unverletzt in San Pedro die Ziellinie überqueren. Drückt mir die Daumen für die morgige lange Etappe.
5. Etappe, The Long March, 79km, 464HM+, 469HM-
Es ist geschafft!!! Die lange Etappe über knapp 80km ist Geschichte. Mega happy mit dem soliden Finish. Meine Strategie ist absolut aufgegangen. Ruhig angehen, nicht nervös machen lassen und jeden der etwa 80’000 Schritte geniessen. Das ist natürlich Illusion, aber die positiven Gedanken helfen über die Distanz. Atemberaubend war’s mal wieder. Die Landschaft wechselte alle 10km. Anspruchsvoll und doch wunderschön.
Heute ist Ruhetag. Die letzten Läufer sind am Morgen gegen 9.00 Uhr nach 25h ins Ziel gekommen. Hammerhart. Ich war froh, die Strecke unter 11h hinter mich gebracht zu haben. Die ersten 22km bin ich mit Christophe, dem Drittplatzierten gemeinsam durch die „Brokkolifelder“ (unser Name für die unwegsamen flachen Passagen über die Stoppelfelder) locker gelaufen. Dann habe ich ihn ziehen lassen. Von weitem war bereits eine mehr als 100m hohe Sanddüne zu sehen. Erstaunlich komprimiert durch den Wind war der Anstieg hart, aber ein Genuss. Von oben: fantastische Aussicht auf das ganze Tal und die Vulkankette. Auf der anderen Seite warte eine echte Mondlandschaft. Habe versucht das in Bildern festzuhalten, kommt aber nie so rüber wie in echt. Am 4. Checkposten dann eine Üerraschung: eine kalte Cola! Wer schon mal so eine Woche mit Selbstversorgung ohne Hilfe und Verpflegung von aussen gemacht hat, weiss man sich fühlt. Ich trinke das ganze Jahr keine Cola. Aber in dem Moment war es ein echter Genuss. Am Nachmittag zwischen 14 -16 Uhr war die Hitze kaum auszuhalten. Zu der Zeit lief ich in einem ausgetrockneten Flussbett. Leichte Schleierwolken zogen auf und tatsächlich hatte ich für genau 3 min Schatten. Durch das Valle de Luna verlief die Strecke talwärts. Viele Touristen hier unterwegs. Ungläubige Blicke. Applaus. Die letzten 5 km sollten nur noch ein Auslaufen bis ins Camp werden. Aber plötzlich machte sich ein Sturm auf. Stark und frontal. Ankämpfen gegen die Naturmächte. Der Sand wie Peeling im Gesicht.
Vor dem Ziel dann noch eine Überraschung. Christophe wartete 20 min auf mich. Er wollte die Ziellinie mit mir gemeinsam überqueren. Echter Sportsgeist. Wir sind die Woche einiges an Kilometern zusammen gelaufen. Immer wieder gegenseitig gepusht. Er liegt im Ranking etwa 2h vor mir. Und doch wollte er mir damit Respekt zollen. Danke Christophe!!! Das macht die Mehrtagsläufe aus. Die Kameradschaft und gegenseitige Unterstützung ist unglaublich. Irgendwann hat jeder ein Tief. Und wird durch die Mitstreiter aufgebaut.
Mit dem 4. Tagesrang bin ich nun safe auf dem 4. Gesamtrang! Unglaublich. Eine solide Woche geht mit einem “Auslaufen” morgen über glaub 12 km zu Ende. Freue mich auf ein anständiges Bett, Essen und ein Bier. Oder zwei.
6. Etappe, Final Footsteps to San Pedro, 13km, 56HM+, 15HM-
Nach dem Ruhetag im Camp stand am Samstag nur noch eine kurze Strecke bis auf den Marktplatz in San Pedro an. Bin ncht sicher, ob ihr nachvollziehen könnt, was da in einem auch gestandenen und erfahrenem Mann vorgeht. Auch wenn ich mittlerweile schon einige Rennen in dem Format bestritten habe, ist es jedesmal eine Erlösung zu Wissen, das Ziel ist nah. Glücksgefühle mischen sich mit Wehmut. Noch vor einer Woche schienen 250km so weit weg und jetzt soll es das schon gewesen sein? Der Körper ist schnell in eine Routine verfallen. Laufen, Essen, Schlafen. Das könnte noch ewig so weitergehen. Aber viel zu schnell ist die Stadtgrenze von San Pedro erreicht. Vorbereiten für die letzten Meter. Zielritual nochmal verinnerlichen. Verabschieden von der Einsamkeit der Wüste. Menschen tauchen in den Strässchen des Ortes auf. Von weitem schalt bereits die Musik und der Applaus aus dem Zielgelände herüber. Noch 300, 200, 100m. Feuchte Augen. Das Volk jubelt. Die Spiele sind vorüber.
Die positive Energie hält in der Regel noch 1-2 Tage an. Dann beginnt für einige die Zeit, sich nach dem nächsten Wettkampf umzusehen. Diese Gedanken muss ich mir nicht machen. Am 4. November geht der Flieger nach Nepal. Station 3/7 beim Run for Children.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen und mich nochmals für die Anfeuerungen auf den verschiedenen Plattformen bedanken. Wenn ihr Teil des Projekts Run for Children sein möchtet und uns unterstützen wollt, findet ihr alle Informationen auf www.runforchildren.ch. Die Schulkinder in Mainapokhari freuen sich auf die neue Bibliothek.
Alle Fotos by RacingThePlanet.