
The Coastal Challenge Costa Rica
Nach kurzer Winterpause geht es beim Run for Children weiter. Mit der Coastal Challenge in Costa Rica steht gleich ein harter Brocken auf dem Programm. 236km im tropischen Regenwald. Ein unglaubliches Naturerlebnis.
1. Etappe
35km, 877 HM
Wehe, wenn sie losgelassen oder die Kunst des langsam Laufens.
Start am pazifischen Ozean. Feiner Sandstrand soweit das Auge reicht. Keine Hotelanlage, kein Liegestuhlverleih. Kein Mensch. Pura Vida. Costa Rica.
Vier Stunden Anreise im klimatisierten Bus aus San Jose. Die Türen gehen auf und der erste Schlag mit der flachen Hand ins Gesicht. 95% Luftfeuchtigkeit. Schwitzen im Stehen. Nach dem Start geht es 13km topfeben durch Palmenplantagen. Kein Wind. Die Sonne drückt. Es ist erst 9 Uhr. Zermürbende Stunden stehen bevor.
Wie immer bei so einem Mehrtageslauf preschen die ersten los, als gäbe es kein morgen. Ruhe bewahren, nicht nervös machen lassen. Am Start unter den ca. 110 Startern auch einige Pro’s. Das Feld zieht sich schnell auseinander. Genaue Starterzahlen oder eine Startliste mit Namen gibt es nicht. Zumindest ist keine publiziert. Pura Vida.
Mit dem ersten Anstieg kommen wir im Dschungel an. Steil bergan durch Gebüsch und Gestrüpp. Der Trail teils zugewachsen. Werden von den Einheimischen kaum noch genutzt. Teile der Strecke sogar nur 1x im Jahr. Während der Coastal Challenge. Der Körper schaltet sofort auf Schutzfunktion um. Riegelt richtig gehend ab. Immer wieder langsam gehen und runterkühlen. Viel trinken. In den Beinen ist kein Saft.
Die Anreise inklusive Zeitumstellung, die kurze Nacht (Start in San Jose war um 3 Uhr) und die Hitze machten mir zu schaffen. Aber das ist für die meisten gleich. Jeder muss damit klar kommen. Also keine Ausreden. Weiter geht’s. An den folgenden fünf Tagen werde ich mich schon daran gewöhnen.
Ein einmaliges Camp im Regenwald entschädigt für die Strapazen. Ein Fluss in der Nähe zum Waschen. Reis und Bohnen zum Essen. Lautes Surren und Zirpen in den Bäumen. Pura Vida.
2. Etappe
41km, 1740HM
Zwischen Schwindel und Schweben
Der Weckruf hatte nichts mit dem Krähen eines Hahnes gemeinsam. Keine Ahnung, wo sie den Typen aufgetrieben haben. Tippe auf Navy Seals oder Royal Airforce. Lange Laufbahn. Im Militärton schreit er durch’s Camp: „wake up racers!“ Dazu noch ein paar markante Sprüche mit „balls“ etc. Es gibt wahrlich angenehmere Momente aufzuwachen. Es ist 3.30 Uhr.
Mit dem ersten Licht machen wir sich mehr oder weniger Ausgeschlafene auf die Reise. Nach 500 Metern gehts gleich mal hoch. In den Ausläufern der Talamancas durch echte Dschungelpassagen und mannshohe ausgetrocknete Wasserrinnen. Teils nur schulterbreit. Der Boden übersäht mit getrocknetem Laub. Darunter liegende Steine nur schwer abschätzbar. Die Geräuschkulisse ist atemberaubend. Allerlei Insekten und Falter jeder Couleur. Dazu die Schwüle des Regenwaldes. Ab und an tropft von den Baumriesen mal ein Liter Wasser. Erfrischung. Abkühlung kann man es nicht nennen.
Warum ist es so schwierig, unter den Umständen Leistung vom Körper zu fordern? Die Luftfeuchtigkeit von 95% und die hohen Temperaturen bringen unseren Körper durcheinander. Einige Organe melden Alarm. Darunter die Haut. Schweiss sollte durch die Poren zum Ableiten der Hitze des Körpers und zur Kühlung durch Verdunstung ausgeströmt werden. Diese Verdunstung funktioniert aber nur, wenn die Luftfeuchtigkeit dies auch zulässt. Bei nahezu 100% geht da nicht mehr viel. Eine Folge davon: die verschiedenen Organe können die Situation nicht mehr handhaben. Das Master Mind schaltet sich ein. Funktionen, die zusätzlich Wärme erzeugen, werden eingeschränkt. Dazu gehört auch die Muskulatur. Da wird auf Sparflamme umgestellt. (kleiner Exkurs von @Geert Meese nach dem Abendessen – Bildung kommt hier auch nicht zu kurz… 😉).
Die Symptome sind für mich vergleichbar mit Aktivitäten in Höhenlagen.Obwohl das eine biologisch nichts mit dem anderen zu tun hat, fühlt es sich gleich an. Schwindelgefühl und Magenprobleme. Das Laufen verkommt zum Schweben. Aber kein leichtes unbeschwertes Federn. Eher ein unsicheres unkontrolliertes Straucheln. Selbstverständlich baut der Körper eine Sicherheitsmarge ein. Einfach umfallen geht also nicht. Wieder eine neue interesannte Erfahrung, die man unter von uns ungewohnten Lebensbedingungen macht.
Was wir hier gut nutzen sind die ständigen Flussdurchquerungen. Das Wasser ist teils recht warm. Aber immer noch kälter als die Körpertemperatur. Am besten einfach kurz reinlegen. Einmaliges Gefühl. Wenn man dabei ausblendet, dass das ein oder andere Kriechtier sich dazu gesellen könnte.
Diese äusseren Umstände bedingen eine extreme Fokussierung auf den Körper. An „normales“ Laufen ist kaum zu denken. Bin noch nicht im Multistage Modus. Noch vier Etappen. Ankommen ist das Ziel. I’m on a mission für die Kids in Mainapokhari.
Ein bisschen kitschig wurde es dann am Abend auch noch. Sonnenuntergang am Pazifik.
3. Etappe
48km, 1753HM
Willkommen im Paradies
Costa Rica laufend erleben ist eine einmalige Erfahrung. Wo gibt es sonst schon die Gelegenheit, allein durch den Regenwald zu rennen. Zwar markiert, aber streckenweise einfach quer durch. Mit der Machete eine Schneise gehauen, pinke Bändchen aufgehängt und ab durch die Mitte!
Heute war der bislang vielfältigste Tag. Sowohl was die Strecke angeht, als auch Freude und Leiden. Nach einer kurzen Einlaufphase grad das morgentliche Highlight. Acht Kilometer im Rio Barú stromaufwärts. Anfangs knöcheltief, weiter oben stand einigen das Wasser dann bis zum Hals. Schlüpfrige Angelegenheit. Die groben ausgewaschenen Steine sind extrem rutschig. Womit einige gar nicht zurecht kamen, passte mir absolut. Das Tanzen über die Steine im erfrischenden Wasser hat richtig Laune gemacht. Wer hier alles im Fluss lebt, wird ausgeblendet. In der Regel verziehen sich Tiere ja, wenn sie Menschen hören. Das ist bei Erschütterung im Wasser auch so. Hoffentlich.
Nach einem kurzen drei Kilometer „Landgang“ gleich das nächste Wasser-Highlight. Die Nauyaca Wasserfälle. Auf zwei Stufen stürzen tosende Wassermangen 25 und 40 Meter in den Naturpool. Umgebung malerisch, schnell fotografisch festhalten. Weiter geht’s. Es gibt auch keinen Grund hier länger zu verweilen. Einmalige Singletrails warten.
Wir schlagen uns durch den Dschungel. Steil bergan. Flach geht nicht. Der Beiname Costa Rica’s ist ja nicht umsont: die Schweiz Lateinamerika’s. Was hier aber dazu kommt, ist die unglaubliche Vielfalt des Regenwaldes. Die Diversität der Pflanzen kann man gar nicht aufnehmen. Die Geräuschkulisse, da kommt die Masoala Halle nicht mit 😉. Und dieses unglaubliche Klima. Ist das das Paradies? Zumindest scheint die Welt in Ordnung. Natürlich wird auch hier gerodet und Gewinn gemacht. Aber auch in Costa Rica wird umgedacht. Der Teil, den wir heute durchlaufen gehört zum Nationalpark.
Über weitere unzählige Flussquerungen gelangen wir zum versteckten Lajas Wasserfall. Erreichbar nur über das Flussbett.absolut nicht auffindbar. Ganz fein rieselt 30-40 Meter frischen kühles Tropenwasser harab. Zeit für ein kurzes Bad, bevor es wieder quer durch den Wald brutal steil bergan geht.
Angekommen auf 700 Metern über dem Meer geniessen wir einen traumhaften Ausblick. Über die Baumkronen des Regenwaldes ist in der Ferne bereits die berühmte Küstenformation „Whale Tail“ zu sehen.eine kleine Halbinsel, die in Form einer Walflosse ins Meer hinaus ragt. Viel Zeit zum Geniessen bleibt aber nicht. Über steile kiesübersähte Rampen fallen wir praktisch wieder auf Meeresspiegel Niveau. Wer das nicht laufen wollte, ist auf dem Hosenboden runter gerutscht.
Der mental schwierigste Teil steht jetzt noch bevor. 14 Kilometer am brütendheissen Strand des National Marine Whale Parks entlang. Das Ziel kam und kam nicht näher. Der Verlockung, einfach ins Meer zu springen und das ganze hier zu Badeferien umzugestalten, konnte ich widerstehen. Ich muss zugeben, der Gedanke war da… 😀
Nach dem Strandabschnitt folgte noch ein kurzes Stück Strasse bis zum Camp. Und da passierte es wieder mal. Beim Aufstieg vom Strand zur Strasse bin ich blind einem Mitstreiter gefolgt. In einem Flussbett über grobe Felsen kletternd. Irgendwann realisierte ich, dass es überall Spinnweben gibt. Das kann nicht sein. Vor uns müssten schon etwa 20 Läufer da durch sein. Dann sollte da nichts mehr im Weg rumhängen. Angespannt und ausgelaugt nach 35 Kilometern entbrannte ein kurzer Disput. Ich war mir ziemlich sicher, wir sind falsch. Er bestand darauf, da nicht wieder runterzuklettern. Also allein umkehren. Es dauerte auch nicht lange und ich habe den richtigen Weg gefunden. Einen Helfer, der grad in der Nähe stand habe ich zum Kollegen hoch geschickt. Ich hatte keine Muse mehr zurückzugehen. So angesäuert wurden die 3 Kilometer auf der vielbefahrenen Strasse zur Hölle. Ab dem folgenden shake hand war das Thema begraben. Angenehme Artgenossen, die Trailläufer. 👍
Viel länger als geplant habe ich nach über 9 Stunden das Camp erreicht. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Natur in Costa Rica dem Paradies wohl sehr Nahe kommt. Was auch immer jeder für sich als Paradies definiert.
4. Etappe
38km, 2058HM
Bergfest
Die Hälfte ist rum. Jetzt, wo es so richtig anfängt Spass zu machen. 😉 Berge stehen aber auch sonst heute wieder auf dem Programm. Relativ kurze Etappe mit saftigen Steigungen.
Die Talamancas erstrecken sich im Süden Costa Rica’s bis an die Grenze Panamas. Die höchsten Gipfel liegen bei 3800m. Die Coastal Challenge geht rauf bis auf knapp 1000m. Und das ist auch vollkommen ausreichend. Vom Meeresspiegel aus sind wir innerhalb von 10km oben. Die Wege und Strassen, die hier hoch führen, würde es so in Europa nicht geben können. Schon Regen reicht aus, um die schwere rote Erde unbefahrbar zu machen. An Schnee und Eis gar nicht zu denken. Vor einzelnen Anstiegen stehen wir dann auch ungläubig wie vor einer schwarzen Alpinpiste. Verglichen mit den Trails im Himalaya, die für Tiere und Menschen zum Warentransport dienen, ist das hier noch einen Zacken schärfer. Empfehlung, wenn ihr mal im Land seid: chartert euch einen lokalen Trailläufer, der euch die versteckten Ecken zeigt. Costa Rica hat eine grosse Läufercommunity. Vorallem abseits befestigter Strassen.
Für uns erfolgte der Start heute nach einem kurzen Bustransfer in Coronado, einem kleinen verschlafenen Ort im Südwesten. Mit dem ersten Licht gibt der Zeitchef das Zeichen zum GO. Wie sieht das aus? Von zehn auf eins runterzählen und ab geht’s. Vor dem Start wird jede Nummer nochmal schriftlich festgehalten. Erstaunlich: mit dem Zieleinlauf sind die Ergebnisse online. Ohne Zeiterfassungsmatte oder Chip. Das haben sie im Griff bei der Orga.
In den Bergen angekommen bleiben wir in angenehmer Höhe. Angenehm weil etwas Wind geht. Lässt sich gleich besser laufen. Wir sind hier im Land der Borucas, einer indigenen Gruppe, die die Talamancas bereits 300 n.Chr. besiedelten. Da war an Kolumbus noch nicht zu denken. Sie sind bekannt für ihr Kunsthandwerk und die bemalten Masken aus Balsaholz. Haupterwerb ist Ackerbau. Laufen durch die saftigen grünen Terrassenfelder erinnert mich an die Teeplantagen in Malaysia. So auch der Tenor von anderen Läufern: das hätte heute auch in Asien sein können. Wieder eine andere Seite des Landes kennen gelernt.
Das deutlich angenehmere Klima hat sich auch gleich in der Ausdauer widergespiegelt. Es war nicht so ein Kampf mit den äusseren Umständen. Ein guter Tag!
Ein Spruch unter Ultraläufern sagt: ‚Hab keine Angst, wenn es dir gut geht beim Laufen. Das geht vorbei!‘
5. Etappe
48km, 1730HM
Das grosse Leiden
Die längste Etappe und der kürzeste Bericht heute. Aus einem einfachen Grund: ich bin platt! Müde. Ausgelaugt. Verbraucht.
Eigentlich eine schöne, abwechslungsreiche Etappe. Start etwas spät. Erst 6.15 Uhr. Dann ist die Sonne bereits draussen. Es dauerte seine Zeit, bis alle Läufer mit einer Fähre über ein Flüsschen transportiert sind. Durchschwimmen strikt verboten. Heimat von Krokodilen. Und die wollen wir doch nicht stören… 😉
Über Farmland, durch den Regenwald, flussaufwärts im Wasser, steile Anstiege. Es wiederholt sich. Aber jeden Tag auf’s neue spektakulär.
Es ging mir auf den ersten 10km nicht besonders gut. Flaues Gefühl im Magen. Im Camp plagen sich einige mit Durchfall rum. Unter anderem mein Zeltkumpan. Das muss aber kein Virus sein. Liegt wohl viel mehr an Überanstrengung und der Hitze. Habe das aber wieder in den Griff bekommen. Ab Kilometer 25 dann ein kurzes Hoch. Hielt aber nicht lange. War ein echter Kampf heute. Aber so muss es ja auch sein. Es kann nicht immer super laufen. Wichtig ist dranzubleiben und das Ding durchzuziehen.
Die letzten 6km folgte der Streckenverlauf dann wieder dem Strand. Unangenehmer Nebeneffekt. Wir liefen in einem Gebiet übersäht mit Abfall. Plastikflaschen, Schuhen, allerlei Treibgut. In zweiter Reihe hinter der Küstenlinie. Da das absolute Natur ist und keine Touristen den Abschnitt erreichen, interessiert es auch niemanden, hier aufzuräumen. Und das ja nur ein Bruchteil von dem, was da alles im Meer schwimmt. Das ist aber alles nicht von uns. Muss von den anderen sein. Beim Laufen kam mir der Gedanke, ich komme zurück und räume hier auf. Ein Ansatz für ein neues Projekt. Auch im Paradies ist nicht alles in Butter.
Irgendwie ging der Tag dann auch zu Ende. Morgen noch ein kurzer Rundkurs und die Mission Run for Children ist wieder einen Schritt weiter.
6. Etappe
22km, 555HM
Die finale Runde
Ein letzter Lauf in Costa Rica. Die atemberaubende Wettkampfwoche geht zu Ende. Im wahrsten Sinne Atem beraubend. Auf den abschliessenden 22km haben die Kursmarkierer nochmal alle Highlights vereint: Dschungel, Wasserfall, Fluss, Singletrails und Schotterpiste. Zieleinlauf am Strand von Drake Bay. Wehmut und Erleichterung schweben mit.
Mit dem Finish bin ich absolut happy. Ich war nicht wirklich fähig, volles Potential abzurufen. Etwas, was ich die ganze Woche in den Berichten verschwiegen habe, kann ich nach erfolgreichem Zieleinlauf preisgeben. Angereist bin ich mit einer Verletzung in der Wade, die mich seit Januar plagt. Mit mehr oder weniger Schmerz musste ich die Etappen angehen. Das Projekt Run for Children darf dadurch nicht scheitern. Die Verpflichtung 7 Ultras in 7 Monaten auf 7 Kontinenten zu absovieren, pusht mich ungemein. Da geht man auch mal gern über „normale“ Grenzen hinaus.
Vieles ist Kopfsache. Andere haben auch Schmerzen. Blasen an den Füssen, Platzwunden am Kopf, kaputte Knie. Das ist nur eine kleine Auswahl der Lazarettliste nach einer Woche Coastal Challenge. War ’ne harte Nuss. Aber aufgeben is nich. Wir haben gemeinsam gelitten und am Ende gemeinsam gefeiert. Hängen bleiben nur die positiven Momente. Und das ist gut so.
Was kommt als nächstes? Viel Zeit für Erholung und Genesung bleibt nicht. Wann und wo es weiter geht? Update in den nächsten Tagen. Bleibt neugierig!